Energetische Fitnesskur für Großgebäude – mit neuester Technik der Gebäudeautomation

Fakultäten - Angewandte Naturwissenschaften, Energie- und Gebäudetechnik

Wirksamer Klimaschutz braucht Ingenieure – und nicht bloß politische Absichtserklärungen. Dass es bei der Energieversorgung von Gebäuden auf das sinnvolle Zusammenspiel vieler Techniken ankommt, verdeutlichte der Vortrag „Gebäudeautomation – Nichts dem Zufall überlassen“ von Dipl.-Ing. Karl Heinz Belser am 19. Mai 2021 beim Kolloquium der Fakultät Angewandte Naturwissenschaften, Energie- und Gebäudetechnik der Hochschule Esslingen.

Der Referent, seines Zeichens Prokurist beim Unternehmen Johnson Controls Systems und Service GmbH und zugleich Präsident der BACnet Interest Group Europe e.V., ist der Fakultät Angewandte Naturwissenschaften, Energie- und Gebäudetechnik seit Jahrzehnten eng verbunden – nicht zuletzt auch deshalb, weil er dort sein Ingenieurstudium erfolgreich abgeschlossen hatte. Mit 155 Zuhörern war das von Prof. Dr.-Ing. Werner Braun im online-Modus geleitete Kolloquium wieder sehr gut besucht. 

Wie gelingt es, die komplexe Technik von Großgebäuden so zu planen und zu betreiben, dass diese mit einem Minimum an Energie auskommt und den Menschen trotzdem ein komfortabler Aufenthalt sichergestellt werden kann? Dipl.-Ing. Belser zeigte auf, dass es dabei nicht nur auf den aktuellen Stand der Technik bei der Gebäudeautomation ankommt, sondern auch auf die verfügbaren finanziellen Mittel, auf eine gute Bedarfsplanung, auf die Vernetzungstiefe der Anlagentechnik und deren Schnittstellen, auf die Wirtschaftlichkeit von Angeboten und den Weg der Auftragsvergabe, auf die gesetzlichen Anforderungen, auf das erreichte Ergebnis, auf eine umfassende IT-Sicherheit und natürlich auch auf hochqualifizierte Ingenieure.

Normenwerke und Richtlinien für die Planung und den Betrieb

Bei allen diesen Fragen können die Ingenieure auf präzise Normenwerke und Richtlinien zurückgreifen: beim Stand der Technik auf die Richtlinienreihe VDI 3814, auf die VDI 6039 und auf die Weltnorm DIN/EN/ISO 16484, die unter anderem auch das wichtige BACnet-Protokoll enthält – also die „Sprache“, mit der sich die verschiedenen Gebäudetechniken sozusagen miteinander unterhalten können. Und die DIN/EN/ISO 52120 (die frühere DIN/EN 15232-1) –„Energieeffizienz von Gebäuden –Einfluss von Gebäudeautomation und Gebäudemanagement“ – bewertet den Einfluss der Gebäudeautomations-Funktionen abhängig von der Nutzungsart sowie vom Grad der Ausstattung und der Vernetzungstiefe. Die baurechtlichen Leistungen sind definiert in der VOB „Vergabe-und Vertragsordnung für Bauleistungen“, in der die allgemeinen technischen Vertragsbedingungen für Bauleistungen (ATV) der Gebäudeautomation gemäß der DIN 18386 festgehalten sind. Und weil heutzutage ohne die IT-Technik nichts geht, spielen auch technische Standards aus dem Bereich der IT-Industrie wie beispielsweise Server, Cloudspeicher, Betriebssysteme, Netzwerktechnik sowie Anzeige- und Bedienmöglichkeiten eine Rolle.

Wenn gebaut wird, geht es um viel Geld. Deshalb werden in der DIN 276 die Kostengruppen für die Erstellung eines Gebäudes gegliedert. Die Gebäudeautomation wurde allerdings erst im Jahr 1993 – also recht spät – in diese DIN aufgenommen; zuvor war die „Regeltechnik“ in der Heizung oder Lüftung vielleicht berücksichtigt oder auch schlicht vergessen worden. Erst mit der Ausgabe 2006 der DIN 276 wurde die Gebäudeautomation in der Kostengruppe 480 „Gebäude- und Anlagenautomation“ (Überwachungs-, Steuer-, Regel-und Optimierungseinrichtungen zur automatischen Durchführung von technischen Funktionsabläufen) mit Untergruppen aufgegliedert dargestellt, und seit Dezember 2018 liegt die Überarbeitung der DIN 276 vor.

Der Vortragende stellte diese Kostengruppe 480 ausführlich vor, in der die Projektbearbeitung und die Honorarermittlung klar geregelt werden: Sie beschreibt Automationseinrichtungen, Schaltschränke und Automationsschwerpunkte, das Automationsmanagement, Kabel, Leitungen und Verlegesysteme sowie Datenübertragungsnetze und Sonstiges.

In der Richtlinienreihe VDI 3814 (Grundlagen, Planung, Funktionen, Arbeitsmittel, Energieeffizienz, Qualifizierung von Personen) wird die Gebäudeautomation in die Bereiche Raumautomation, Anlagenautomation und Gebäudeautomations-Management gegliedert.

Dipl.-Ing. Belser machte in diesem Zusammenhang darauf aufmerksam, dass es bei der Planung einen sehr hilfreichen Leitfaden gibt, der die langjährigen Erfahrungen der öffentlichen Verwaltungen zusammenfasst: Diese Schrift wurde vom Arbeitskreis Maschinen- und Elektrotechnik staatlicher und kommunaler Verwaltungen (AMEV) mit seinem Arbeitskreis Gebäudeautomation erarbeitet und steht auch Bauherrn der Privatwirtschaft und deren Fachplanern zur Verfügung. So legen die öffentlichen Verwaltungen bei ihren Planungen beispielsweise Wert darauf, dass das herstellerneutrale Datenübertragungs-Protokoll BACnet genutzt wird und geprüfte BACnetfähige Produkte verschiedener Hersteller zur vereinfachten Anwendung zur Verfügung stehen.

Ein weiterer Gesichtspunkt ist, dass bereits bei der Planung eine geordnete, optimierte  Inbetriebnahme berücksichtigt wird, damit man über ein funktionsfähiges Gebäude verfügen kann, das den vollen Nutzen für den Auftraggeber vom ersten Tag der Nutzung ermöglicht. Hierzu hilft die VDI 6039 „Inbetriebnahme-Management“ (IBM).

Unter dem Blickwinkel der Auftragsvergabe ist von Belang, wer von den erreichten Kosteneinsparungen welchen Nutzen hat: Ist es der Endkunde, der Fachplaner, der Generalunternehmer bei der Planung, der Generalunternehmer beim Bau, der technische Generalunternehmer oder der Systemintegrator für die Gebäudeautomation? - Am besten sollten alle diese Beteiligten ihren Nutzen haben.

Wenn es um die Frage nach dem wirtschaftlichsten Angebot geht, sollte nicht allein nach dem niedrigsten Preis entschieden werden, sondern es sollten auch das beste Preis-Leistungs-Verhältnis, die Lebenszykluskosten, die Leistungsfähigkeit und Zuverlässigkeit des Bieters, die „Migrationsfähigkeit“ früherer Produktlinien, eine Bewertungsmatrix nach wichtigen Kriterien und schließlich auch Nebenangebote berücksichtigt werden.

Effizienzklassen bei der Gebäudeautomation

Ganz entscheidend im Hinblick auf die Kriterien der Energieeffizienz und des Klimaschutzes ist die Leistungsfähigkeit einer bedarfsabhängigen Energiebereitstellung für das Gebäude, die vom Automationsgrad und der Vernetzungstiefe abhängt. Dipl.-Ing. Belser wies hierzu auf die Norm DIN/EN/ISO 52120 „Energieeinsparung durch Gebäudeautomation“ hin, die seit Dezember 2019 verfügbar ist. Darin wird eine Bewertung der Energieeffizienz von Gebäuden nach den Klassen A, B, C und D vorgenommen, wobei die Energieeffizienz von der Funktionalität und der Vernetzungstiefe der eingesetzten Gebäudeautomation abhängt. Diese Norm liefert auch die Grundlage für die Systemzertifizierung von Anlagen der Gebäudeautomation gemäß der Ausarbeitung des europäischen Hersteller-Verbandes eu.bac (der VDMA-Dachorganisation).

Die einzelnen Klassen haben die folgenden Merkmale:

Klasse A: Hoch energieeffiziente Systeme der Gebäudeautomation mit einem Technischen Gebäudemonitoring: Raumautomation mit automatischer Bedarfserfassung und Vernetzung mit den optimierten Primäranlagen; regelmäßige Wartung und Energie-Monitoring; nachhaltige Energieoptimierung (Einsparung gegenüber Klasse C: Bürogebäude bis zu 30 %, Schulen bis zu 20 %, Hotels bis zu 32 %)

Klasse B: Weiterentwickelte Gebäudeautomationssysteme mit einem teilweisen Technischen Gebäudemonitoring: Raumautomation ohne Rückgriff auf die Primäranlagen; Gebäudeautomation für die Optimierung der Primäranlagen; Energie-Monitoring; (Einsparung gegenüber Klasse C: Bürogebäude bis zu 20 %, Schulen bis zu 12 %, Hotels bis zu 15 %)

Klasse C: Standard-GA-Systeme: Gebäudeautomation für die Primäranlagen, Absenkbetrieb über Schaltuhrenfunktion; keine Raumautomation, Thermostatventile an den Heizkörpern; kein Energie-Monitoring; Referenzklasse für die Energieeffizienz-Betrachtungen, gesetzlich gefordert in der bisherigen Energie-Einsparverordnung (EnEV)

Klasse D: Gebäude mit einfacher Regeltechnik, die nicht energieeffizient sind (Gebäude mit derartiger Technik sollten dringend modernisiert werden; neue Gebäude dürfen nicht mit derartigen Systemen gebaut werden.): keine vernetzten Gebäudeautomations-Funktionen, klassische Festwertregelung; kein Absenkbetrieb; keine Raumregelung (Mehrverbrauch gegenüber Referenzklasse C: Bürogebäude bis zu 51 %, Schulen bis zu 20 %, Hotels bis zu 31 %)

Dipl.-Ing. Belser ging in seinem Vortrag auch auf Fragen des Technischen Monitoring mit dem Ziel der Qualitätssicherung ein, damit die geplante Funktion des Gebäudes im Betrieb sichergestellt werden kann. Hierzu bedarf es eines Mess-Stellen- und Zählerkonzepts für den Probe-Betrieb und darüber hinaus. Ein weiterer Gesichtspunkt ist die Frage nach der IT Sicherheit; dazu gibt das neue VDMA-Einheitsblatt EB24774 eine Hilfestellung, um Bedrohungslagen einschätzen und Gegenmaßnahmen ableiten zu können. Weiter machte der Referent auch auf einen berufsbegleitenden Master-Aufbaustudiengang zur Gebäudeautomation aufmerksam, der als akkreditierter Studiengang mit 4 Semestern und 90 Leistungspunkten zur Verfügung steht.

Stand der Gesetzgebung in Europa

Seit dem Jahr 2018 ist eine Neufassung der EU-Gebäude-Effizienz-Richtlinie 2018/844 in Kraft (im angelsächsischen Idiom als „Energy Performance of Buildings Directive“ (EPBD) bezeichnet). Deren Umsetzung obliegt den jeweiligen nationalen Gesetzes- und Verordnungsverfahren. Sie ist in Deutschland noch nicht umgesetzt. In dieser Richtlinie wird davon ausgegangen, dass mit mehr Gebäude-Wärmedämmung nicht mehr viel zusätzliche Energieeinsparungen erreicht werden können. Demgegenüber wird die Gebäudeautomation künftig für neue wie auch für Bestands-Nichtwohngebäude ab 290 kW Leistung vorgeschrieben. In Deutschland soll künftig das Gebäudeenergie-Gesetz (GEG) den rechtlichen Rahmen für die Richtlinie EPBD vorgeben; hierin ist bisher allerdings noch nichts über die Gebäudeautomation enthalten.

Weil die Klimapolitik zurzeit vergleichsweise volatil ist und durch immer weitergehende Forderungen geprägt erscheint, überarbeitet die EU die EPBD-Richtlinie bereits wieder, um die neuen europäischen Ziele zur CO2-Einsparung bis zum Jahr 2050 darin abzubilden.

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