Spektrum_HS_Esslingen - page 32

»
spektrum 46/2018
BLICKPUNKT
30
VON DER EISENBAHN ZUM AUTONOMEN FAHREN
Sobald technische Neuerungen unsere bisherigen Fortbewe-
gungsmöglichkeiten geradezu auf den Kopf stellen, kommen
rasch Bedenken auf. Das war schon so, als die Pferdekutsche
durch das „Eiserne Ross“, also die Dampf-Eisenbahn, ersetzt
wurde. Viele befürchteten früher, hohe Geschwindigkeiten bei
Fahrzeugen würden die Gesundheit der Passagiere beinflussen.
Ähnliche Bedenken hören wir nun auch bezüglich des autonomen
Fahrens. So lautet eine kritische Frage dabei: Wer trägt bei einem
Verkehrsunfall mit Toten und Schwerver-
letzten die Verantwortung? Immer hieß
es, der technische Fortschritt schade dem
Menschen, er wisse zunächst nicht, wie
er sich Neuem gegenüber zu verhalten
hat. Wirft man dagegen einen Blick in die
Geschichte, so stellt man fest, wie stark
die Mobilität unser menschliches Leben
veränderte. Es wurde schneller, die Ferne
rückte in den eigenen Blick, ja, der technische Fortschritt inspi-
rierte sogar unsere Fantasie: Warum sollte der Wochenendaus-
flug auf den Mond nicht möglich sein?
BEDENKEN – VERHINDERER ODER SCHRITTMACHER
Natürlich sind Bedenken wichtig und richtig, sofern sie nicht
in bloßer Angst oder dem sturen Festhalten an der „guten al-
ten Zeit“ (die, mit Verlaub, oftmals ungut verlief) begründet ist.
Und in der Tat ist jeder, dessen Leben durch einen Verkehrsunfall
beendet wurde, einer zu viel! Doch muss an dieser Stelle auch
gesagt werden, dass die Technik unsere Fahrzeuge durch ver-
schiedene Assistenzsysteme sicherer gemacht hat. So gesehen
waren Bedenken zu Schrittmachern für technischen Fortschritt
geworden und verhinderten ihn eben nicht!
AUTONOMES FAHREN – EIN QUANTENSPRUNG FÜR DIE
INDIVIDUELLE MOBILITÄT
Nun stehen wir wieder vor einem Quantensprung in unserer
eigenen Mobilität. Genauso wie unsere Vorfahren in den 30er
Jahren des 19. Jahrhunderts, als die ersten Dampfzüge im Per-
sonenverkehr rollten. Der technische Fortschritt heißt dieses Mal
Autonomes Fahren und nicht mehr Fahren auf Schienen. Beiden
ist im Übrigen gemeinsam, man darf sich als „Passagier“ fühlen
ÜBRIGENS: MOBILITÄT – ABER BITTE MIT VERSTAND
UWE SCHINDERA
und muss selbst zum Fahren nichts beitragen. Im Zug verließ
man sich auf den Lokführer und die Menschen in den Stellwer-
ken, beim Autonomen Fahren sind es die eingespeicherten Algo-
rithmen, die uns die Hände in den Schoß legen lassen – so lautet
jedenfalls das Versprechen.
DER MENSCH ÜBERLÄSST COMPUTERN DIE ENTSCHEI-
DUNGEN
Folgt man diesem Versprechen, so überlässt fortan beim Fahren
der Mensch alle Entscheidungen dem Computer. Das bedeutet
jedoch einen Eingriff in das autonome Entscheiden des Men-
schen. Dies gilt insbesondere dann, wenn der Fahrer das Heft
des Handelns und der Entscheidung nicht mehr selbst in Hän-
den hält. Ich denke hier zum Beispiel an Ausweichmanöver in
bestimmten Fahrsituationen. Das klingt beängstigend. Der Tod
einer Fußgängerin nach einem Unfall mit einem selbstfahren-
den Auto im März schient die Furcht zu bestätigen, alles, ein-
schließlich nicht mehr gut zu machender Schäden, Algorithmen
zu überlassen. Allerdings standen bei der Veröffentlichung dieses
„Übrigens“ die genaueren Ursachen des Unfalls noch nicht fest.
KLARE „VERHALTENS“- REGELN FÜR ROBOTER – UND
DOCH …
Doch kann ein Roboter, kann ein Computer „verantwortliche“
Entscheidungen treffen? Denn nach wie vor gelten für Maschinen
die klaren Regeln, die 1942 vom russisch-amerikanischen Bioche-
miker und Science- Fiction-Schriftsteller Isaac Asimov aufgestellt
wurden: Ein Roboter darf einen Menschen nicht verletzen; er
muss dem ihm vom Menschen gegebenen Befehl gehorchen (es
sei denn er kollidiert mit der ersten Regel) und drittens muss ein
Roboter das menschliche Leben schützen, solange dieser Schutz
sich nicht mit den beiden vorherigen Regeln im Gegensatz be-
findet. Doch selbst diese klaren Regeln schützen den Computer
nicht vor der Dilemmasituation: welche Person soll er vor dem
Aufprall schützen, wenn das von ihm gesteuerte Fahrzeug auf
Mutter und Kind zufährt, da beide urplötzlich hinter parkenden
Autos auftauchen. So steckt „die Ethik im Algorithmus, der Teufel
aber im Detail“, umriss diese Situation treffend der Sozial- und
Wirtschaftswissenschaftler Prof. Dr.- Volker Lüdemann (vgl. Stutt-
garter Zeitung, Wochenendbeilage, 22.10.2016)
Uwe Schindera
,
Pastoralreferent, ist
Ansprechpartner
der katholischen
Gesamtkirchenge-
meinde Esslingen
für die Hochschule
Esslingen.
1...,22,23,24,25,26,27,28,29,30,31 33,34,35,36,37,38,39,40,41,42,...84
Powered by FlippingBook